Dichtung und Wahrheit: Der Traum vom Leben








"And to glance with an eye or show a bean in its pod confounds
 the learning of all times" (Whitman "Leaves of Grass")

"Und man in Mährchen und Gedichten
Erkennt die wahren Weltgeschichten
Dann fliegt vor einem geheimen Wort
Das ganze verkehrte Wesen fort." (Novalis "Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren") 

Das Paradox des Samenkorns finden wir nicht nur im indischen Märchen, sondern etwa auch in Johannes 12:24, wo es heißt :"Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht."
Der Glaube, durch den Menschen große Taten vollbringen - der Glauben an die Existenz der Glaubensmacht -muss sich entwickeln und unter Verhältnissen wachsen, die genau dem Wachstum des  Senfkorns entsprechen. Keine Belehrung, die Jesus von Nazareth seinen Jüngern oder der Volksmenge erteilte, enthielt eine tiefere Wahrheit oder war in einfachere Worte gekleidet als die folgende: "Wenn ihr Glauben habt wie ein Senfkorn und diesem Berge gebietet: Rücke von hier weg dorthin, so wird er hinweg rücken." (Math.17:20) Wenn der Glaube etwas in einem Menschen gewachsen ist besitzt dieser ein gewisses Vertrauen in die Macht eines göttlichen Wesens. Wenn dieser Glaube mehr anwächst wird er zu einer universell verbreiteten Kraft (Energieform) und schließlich zur Energie des Willen selbst, welcher der Tätigkeit der elektrischen Energie entspricht. An einem solchen Punkt sind Glaube, Liebe und Willen (Intelligenz, Wille und Liebe) vollständig zu einem energetischen Dreieck verschmolzen. Diese Verschmelzung hat mit dem Erkenntnisprozess zu tun durch den wir erkennen wieso wir nur das Unsichtbare lieben können.                   


In der Literaturgeschichte taucht der Vers aus Johannes 12:24 an den verschiedensten Stellen auf. So auch zwei Mal an zentralen Stellen im Werk von Dostojewski. Einmal wird er in Die Brüder Karamasow direkt zitiert. Das andere Mal taucht er auf in Der Idiot, wo auch auf diesen Vers angespielt, und zwar im Traum von Ippolit, für den sich dieses Paradox des Samenkorns noch vertieft, wenn er träumt, dass er einem Mann befiehlt, sein ganzes Gold einzuschmelzen und einen Sarg daraus herzustellen, dann ein erfrorenes Kind auszugraben und es im goldenen Sarg neu zu bestatten. Bevor Ippolit in diesem Roman, diesen Traum träumt, hatte er gerade eine gute Tat für einen Fremden getan und hält danach seine Tat für einen Samen, der in der Welt ausgesetzt wurde. Bei Dostojewski untergräbt dieser Traum den Glauben an die Fruchtbarkeit dieses Samens so sehr, das sich Ippolit nach dem Erwachen umbringen will. Die poetische Wirkung dieses Traumes auf ihn ist so stark, dass er eine Art alles in Frage stellender tieferer Wahrheit aus diesem zu sich sprechen hört.

Ein Gedicht spricht Worte, die es nicht versteht. Darin liegt seine Schönheit. Wir müssen sie für es entziffern. Indem wir uns dafür öffnen, öffnen wir uns für die Welt. Seine eigene Träume zu verstehen, bedeutet sie lesen zu können. Wer dies lernt erfährt die tiefsten menschlichen Bedeutungen und kann in der Gegenwart leben, weil ihm die ursprüngliche Freiheit des Menschen aufgegangen ist. William Carlos Williams beschriebt uns was es bedeutet in der Gegenwart zu leben in wenigen Zeilen:

This is just to say

I have eaten
the plums
that were in
the icebox

And which
you were probably
saving
for breakfast

forgive me
they were delicious
so sweat
and so cold

Ein solches Sein in der Gegenwart ist dem Zustand des Traumes sehr nah. Träume bewirken eine Selbsterfüllung und das Auftauchen des Individuellsten im Individuum. Sie zeigen die Möglichkeit eines Aufstieges bis zu der Nähe des Göttlichen auf. Es geht hierbei um eine Umstellung von Objektbezug auf Selbstbezug.
Die Kunst Dinge zu verlieren, wurde schon immer von den Dichtern praktiziert. Was sie nicht alles verloren und dann besangen. Die Jugend, Schönheit, Ruhm, das Leben - und die Liebe. Emily Dickinson schreibt in ihrem Poem 959:

A loss of something ever felt I -
The first that I could recollect
Bereft I was - of what I knew not


Und hier ein Gedicht von Elizabeth Bishop, über die Kunst Dinge zu verlieren:

One Art

The art of losing isn't hard to master;
so many things seem filled with the intent
to be lost that their loss is no disaster.

Lose something every day. Accept the fluster
of lost door keys, the hour badly spent.
The art of losing isn't hard to master.

Then practice losing farther, losing faster:
places, and names, and where it was you meant
to travel. None of these will bring disaster.

I lost my mother's watch. And look! my last, or
next-to-last, of three loved houses went.
The art of losing isn't hard to master.

I lost two cities, lovely ones. And, vaster,
some realms I owned, two rivers, a continent.
I miss them, but it wasn't a disaster.


--Even losing you (the joking voice, a gesture
I love) I shan't have lied. It's evident
the art of losing's not too hard to master
though it may look like (Write it!) like disaster.

Folgendes Gedicht von Walt Whitman wiederum führt uns noch weiter hinaus in die Weiten des freien Denkens:





When I heard the learn'd astronomer;
When the proofs, the figures, were ranged in columns before me;
When I was shown the charts and the diagrams, to add, divide, and
measure them;
When I, sitting, heard the astronomer, where he lectured with much
applause in the lecture-room,
How soon, unaccountable, I became tired and sick;
Till rising and gliding out, I wander'd off by myself,
In the mystical moist night-air, and from time to time,
Look'd up in perfect silence at the stars.


Nur indem der Junge den Mut aufbringt sich seinen Untugenden auszuliefern, symbolisiert durch das übertriebene Verlangen nach dem Bohnenstück, kann er sie überwinden lernen. Da er sich diesem Verlangen in sich wirklich stellt, kann er es schließlich als Schein durchschauen und ihm die Energie entziehen. Es gibt keinen anderen Weg zu vollständigen Leben als diese Konfrontation mit dem eigenen und kollektiven Unbewussten, welchen sich eben, in jeden von uns anderes, durch solche Untugenden ausdrückt.
Wenn der Junge sich auf seine Suche nach dem verlorenen Bohnenstück begibt, folgt er lediglich seiner inneren Stimme. Diese Stimme führt ihn letztlich zu weitreichenden moralischen Entscheidungen, ohne die er nie zu wirklichen Bewusstsein gelangen kann. Sie konfrontiert ihn mit aller Verwirrungen und Täuschungen in sich, die eben von seinem materiellen Begehren nach einem Objekt ausgehen. Doch ist es eben gleichzeitig diese innere Stimme, die ihn schließlich auch zum Höchsten in sich führt: der Fähigkeit seinen Besitz mit jeder anderen Kreatur gerecht zu teilen. Die Bewältigung des Dämons als Teil der inneren Stimme bedeutet geistige Unterstützung auf allen noch so unscheinbaren Wegen erfahren zu können.


Unter den historischen Monumenten von Samarkand nimmt das Observatorium des Mathematikers, Astrologen und Sultans Ulugbek eine besondere Stellung ein. Es wurde gegen 1430 fertiggestellt und war ein für die damalige Zeit einmaliges Bauwerk. Es hatte als Basis einen Sextanten innerhalb eines Kreises mit dem Radius von 40,212 Metern. Eine ganze Galaxie an Wissenschaftlern arbeitet dort gemeinsam an der noch heute für ihre Genauigkeit bewunderte "Sternkarte von Ulugbek", die die genauen Koordinaten von 1018 Sternen angibt.
Alles was Beobachtung und Erfahrung bis dahin über die Bewegung der Himmelskörper herausgefunden hatte, war in dieser Sternkarte eingezeichnet, die ohne optische Instrumente erstellt wurde.
Dieses bemerkenswerte wissenschaftliche Zentrum wurde zerstört, die dazugehörige Bibliothek geplündert und die Wissenschaftler verjagt. Scheichs nannten den zugeschütteten Hügel das Grab von vierzig Jungfrauen und erbauten ein Mausoleum als einen Ort für die Pilgerschaft und verdienten sich hohe Profite durch Betrügereien. Auf diese Art unterdrückten die Priester von Samarkand weitere wissenschaftliche Forschungen. Erst nach einer langen Zeit der Vergessenheit wurde das Observatorium 1908 von dem Archäologen Vyatkin wiederentdeckt.


Observatorium von Ulugbek















Die Seelenebene ist der Bereich der Beziehungen der Symbole zueinander.
Jedes Symbol, welches wir in all seiner Tiefe ergründet haben, wird zu einer unzerstörbaren Energiequelle in uns. Aber jedes Symbol hat für jeden Menschen jeweils eine andere Bedeutung. Auf der Seelenebene kann es daher keine Verallgemeinerungen und Konventionen geben. Daher sind alle Dogmen und starre Interpretationen abzulehnen. Alles ist auf der Seelenebene, je nach Umständen und Anwesenden, neu zu erfassen. Diese Flexibilität des Denkens lehren uns Geschichten und Mythen, die ja auch nur Symbole sind. Wenn man all die Bedeutungsbeziehungen durchdrungen hat, die ein Symbol besitzt, lebt die in ihm gespeicherte geistige Energie in einem magisch fort. Es ist an jedem, aus diesem vollständig individuellen Zugang zu den höheren Energien, die die Symbole für uns bereithalten, das Beste zu machen.