Durch die Räume, bis hin zu einem letzten Zimmer...


Das Bohnenstück als Symbol:
Das Bohnenstück ist ein Symbol für die Sache, die dem Menschen seine Existenz schenkt: Der göttliche Samen des Lebens in jedem von uns. Dieser Samen ist die Garantie unserer Unsterblichkeit, und jenes was uns im Alltag bestehen lässt. Diese eine Göttlichkeit ist die Einheit, die uns alle miteinander verbindet. Von dieser einen Quelle stammen alle Dingen und alles Wissen. Diese Quelle garantiert das Wachstum zur Perfektion von allem was lebt. Heutzutage leben die meisten Menschen noch in einer Welt, die nichts von der Kraft dieses Samens in jedem von uns wissen möchte. Aber dieses Wissen wird hervortreten und unserer gesamte Welt verwandeln. Alles hängt heutzutage für die Menschheit ab von diesem Geschehen. Möge zur Offenbarung dieser inneren Kraftquelle in jedem von uns diese Geschichte von der Suche nach dem Bohnenstück einen Beitrag leisten.                       

Verführung des Josef (National Library, Cairo) von Kamal al-Din Bihzad, dem hervorragendem Meister persischer Malerei. (Timurid Dynastie um 1488). Das Bild stellt den Höhepunkt der Geschichte von Josef und Potiphars Frau Zulaykha dar, die sowohl in der Bibel wie auch dem Koran vorkommt. Die Verführerin Zulaykha führt Josef durch sieben herrliche Zimmer ihres Palastes, jeweils die Türen hinter sich verschließend, bis sie die oberste Kammer erreicht, in der sie sich auf ihn wirft.
Genauso, wie diese Geschichte als Allegorie der Suche der Seele nach göttlicher Liebe und Schönheit zur Kontemplation anregen soll, so auch dieses Bild, dessen Palast für die materielle Welt steht, die überwunden werden kann.


Das Bohnenstück ist so auch ein Symbol für das Wissen des Herzens, welches wir nur erlangen können, wenn wir unser Leben vollständig leben. Wir können dieses Wissen in keinem Buche und in keines Lehrers Mund finden, sondern es wächst aus us selber, wie das eingepflanzte Senfkorn, welches zum Baume gedieh. (Verg. Matt 13, 31-32; Markus 4, 30-32; Lukas 13, 18-20)
Er lebt sein Leben nur völlig, wenn er mit offenen Herzen durch die Welt wandert um jede Form von Liebe, Hass und Leidenschaft am eigenen Leibe zu erfahren.

Das Gleichnis vom Samenkorn zeigt uns, wenn wir ihm durch verschiedene geistige Kulturen folgen, wie analoge Bilder, in Form von archetypischen Symbolen, in unterschiedlichen Ausdrucksformen wieder auftauchen. Diese Formen, so werden wir hier im Folgendem darstellen, können uns mehr sagen über uns, als reine Ausdrücke des Verstandes, die zwar oft präzise Feststellungen ermöglichen, denen aber dadurch das Moment des Dynamischen, der Verwandlung entgeht, welches allein dem Lebendigen eigen ist. Die Eigenschaft des Dynamischen teilt der Geist mit dem Symbol, und darum ist dieses ein Mittel, auf welches das Bewusstsein angewiesen ist, will es in das Reich des Geistes eindringen.                 


Liebe in verschiedenen Formen ist in der Geschichte von der Suche nach dem Bohnenstück symbolisiert durch die Begegnungen mit König und Königin sowie mit Elefant und Ameise. Hass in seinen Formen wird symbolisiert durch die Begegnungen mit dem Baumeister und der Katze. Leidenschaft schließlich wird symbolisiert in ihren unterschiedlichen Formen durch die Begegnungen mit Maus, Hund, und - auf einer verfeinerten Stufe - den Eigenschaften der Elemente Feuer, Wasser, Luft und Erde.
Mythen funktionieren wie mathematische Gleichungen und Algebra als Organisationen von bestimmten aufeinander bezogenen Symbolen. Popularisierung kennzeichnet nach Dane Rudhyar die letzte Lebensperiode einer Kulturphase. Der Geist kreiert, die Kultur reproduziert. Ein geistiger Impuls wird von kreativen Menschen aufgenommen und sie objektivieren ihn in Archetypen, die die Kraft haben alles neu zu machen. Solche Archetypen nehmen etwa die Form von Mythen an, von denen dann eine magische Kraft ausgeht eine ganze Kultur umzuformen. Der Dichter Walt Whitman kreierte so mit seinem Werk den Mythos der american success story, dem Millionen Menschen aus aller Welt folgten und bis heute folgen. Die Herrscher in Deutschland während des 2. Weltkrieges wiederum drängten ihrem Volk alte Mythen auf, was einen gefährlichen und bösen Rückschritt bewirkte. Es war eben dieser Missbrauch der mythischen Kraft, an Hand dem sie sich grundlegend gegenüber der Menschheit schuldig machten.      
Kreative Menschen sehen sich selbst als Mythen-Stifter, die dazu auserkoren ihren Zeitgenossen neue Möglichkeiten des Seins aufzuzeigen. Dementsprechend leben kreative Menschen selbst auch ein symbolisch-alchemistisches Leben, welches in der Lage ist eine Kultur auf einen neuartigen geistigen Sinn auszurichten. Der kreative Mensch erschafft einen neuen Mythos vom Individuum als Reaktion auf eine geistige Krise seiner Kultur.

Indem der Junge sich auf die Suche nach dem Bohnenstück macht lebt er das bisher noch nicht Gelebte in sich. Durch diese Suche kann er diesem Ungelebten in sich nicht länger entfliehen. Unsere Geschichte macht darauf aufmerksam, dass dieses Ungelebte in jedem von uns schläft und nach Erfüllung verlangt. Wenn wir uns weigern dies anzuerkennen verfehlen wir unser Leben, denn wir können dann das Wissen des Herzens nicht erreichen.

Um zur Erkenntnis des Herzens zu gelangen, muss der Junge sich dem tiefsten Begehren in sich stellen, welches gemeinhin auch als das Böse bezeichnet wird. Nur indem er sich dem unsinnigen Begehren nach dem Auffinden des Bohnenstückes stellt, kann er dieses Begehren schließlich überwinden. Er erkennt dann, dass sein Begehren sich eigentlich gar nicht auf das materielle Bohnenstück als solches richtete, sondern auf die Bedeutung des Bohnenstückes als Symbol. Erst wer sein Begehren auf diese Weise lernt von den äußeren Dingen abzuwenden, der gelangt an den Ort der Seele. Der Junge lernt warum er eigentlich selbst nur Ausdruck und Symbol der Seele ist.
"Wir brauchen die Aussaat und Wir wissen, dass die Samenkörner nicht verloren gehen können, denn Bestehendes kann nicht vernichtet werden. Wir haben kein großes Interesse an der Veränderlichkeit von Formen, denn das Samenkorn ist unveränderlich. Solch ein unveränderliches Samenkorn ist in jedem Wesen eingelagert."  Helena Roerich